Samstag, 7. Juni 2014

"Spiel mit der Wahrheit" - Wie jetzt?

Fast möchte ich es mir einfach machen und nur schreiben:
In "Christ & Welt" ist ein Artikel namens Spiel mit der Wahrheit erschienen.
*hmpf*
Ende.

Gut, also dann ausführlicher.

Der Artikel handelt von der im Sudan zum Tode verurteilten Christin Meriam Yehya Ibrahim Ishag (von der ich in den letzten Tagen leider online keine Neuigkeiten mehr gesehen habe). Ich habe ja schon mehrmals darüber geschrieben.

Oder sagen wir anders: Der Artikel sollte von Meriam handeln, aber irgendwo hat der Autor wohl den Faden verloren.

Dass ich den Header des Artikels schon vorab als sehr irreführend empfinde, bermerke ich hier mal nur am Rande.

Die ersten Abschnitte sind im Thema: Die Vorgeschichte wird erzählt, wie es zur Verhaftung kam, zur Todesstrafe, die Hintergründe, die Rechtslage. Soweit alles in Ordnung. Wir sind bei Meriam und ihrer Geschichte.

Und dann gibt es einen Riss. Plötzlich sind wir bei einem deutschen "Missionar", der mit einigen anderen "radikalen Missionaren" Muslime im Sudan für den christlichen Glauben zu gewinnen versucht - mit, wie er selber zugibt, nur sehr geringem Erfolg. Von ihrer "Arbeitsweise" wird erzählt, von den Gefahren, die ihm (und eventuellen Konvertiten) drohen, von seinen Gründen, trotzdem weiterzumachen.

Man kann über diese Menschen schreiben. Klar. Aber warum hier, in diesem Artikel? Meriam wurde nicht von einem "radikalen Missionar" zum Christentum "verführt". Sie hatte eine christliche Mutter, die ihre Tochter als Christin erzog. Zur reinen Erklärung des Begriffs "Apostasie" war dieser lange Einschub erstens völlig unnötig, und zweitens hatte er nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun. Höchstens vielleicht, dass man sagen könnte "seht ihr; die Christen sind mal wieder selbst Schuld an ihrer Malaise". Aber das will ja keiner. Sagen. Denke ich. Oder?

Oder doch?

Ich muss gerade an eine Kollegin denken, mit der ich vor vielen Jahren einmal folgendes Gespräch hatte, an das ich heute noch mit Entsetzen denke:

Irgendwann sagte sie zu mir: "Naja, die Juden sind doch selbst schuld."
Ich: "Schuld? Wie jetzt? Woran?"
Sie: "Daran, dass sie überall verfolgt und vertrieben werden."
Ich. "Daran sind sie selbst schuld? Ja, aber wie denn das jetzt?"
Sie: "Das ist doch ganz klar! Man muss sich doch nur einmal ihre Geschichte ansehen, dann weiß man, dass sie seit Jahrtausenden überall verfolgt und vertrieben wurden - dann muss ja wohl doch was dran sein, dass sie das selber verschulden, wenn sie immer wieder so behandelt werden."

(Nein, ich habe diesen Dialog nicht erfunden - er hat vor ca. 15 Jahren fast wortwörtlich so stattgefunden.)

Warum ich gerade jetzt wieder daran denken muss. Weil - irgendwie so ganz dumpf im Hinterkopf - bei mir der Gedanke herumspukt, dass unser Autor an dieser Stelle seines Artikels so lange krampfhaft nach einem Grund gesucht hat, dem Leser unterschwellig zumindest eine Mitschuld der dortigen Christen an ihrer Situation einzureden, bis er unter einem der vielen Steine, die er dabei umgedreht hat, ein paar radikale christliche Missionare gefunden hat.

Und wie geht's noch weiter im Artikel?

Es wird über den Bruder spekuliert, der Meriam angezeigt und ihr bei den Behörden vorgeworfen hat, dem muslimischen Glauben abgeschworen zu haben. Warum hat er das wohl getan? Lehnte er ihr selbstbestimmtes Leben ab? Oder war es Neid über ihre finanzielle Situation? So fragt der Autor.

Um beides dann gleich abzulehnen. Für ihn sind weder Familienzwist noch Religion die Gründe für das Urteil.

Mooooment mal - wie war jetzt noch mal die Frage? Ging es nicht gerade noch um die Beweggründe des Bruders? Und zur Antwort hören wir etwas über die Gründe, weshalb das Gericht ein so hartes Urteil gefällt haben könnte. Faden verloren? Naja, kann passieren.

Anschließend folgt ein - wie ich gerne zugebe - interessanter Abriss über die politischen und wirtschaftlichen Zustände im Sudan. Schon dafür hat sich das Lesen dann doch noch gelohnt. Aber ein etwas übler Nachgeschmack bleibt.

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