Samstag, 20. Januar 2018

Belauscht

Heute belauschte ich im Café ein Pärchen, das am Nachbartisch einander gegenüber saß und sich  über einen bevorstehenden Urlaub unterhielt. Nicht etwa darüber, was man unternehmen würde, oder worauf man sich besonders freute - nein, der Mann las seiner Partnerin mittels einer Wetter-app vom Smartphone die Aussichten für den Urlaub vor. Das klang dann so:
"Am ersten Tag Regen.
Siehst du? Hier! Und 8 Grad.
Am nächsten Tag Regen und ein bisschen kälter - nur noch 6 Grad.
Am nächsten Tag Regen, wieder 8 Grad. Guck - hier!
Und am nächsten Tag auch Regen, siehst du?"
Er sagte das ganz ruhig, fast schon stolz auf die großartigen Fähigkeiten seines Smartphones. Sie dagegen ließ die Vorhersagen mit der gleichen großartigen stoischen Ruhe über sich ergehen, wie einst Evelyn Haman im berühmten gewordenen Sketch beim Anblick der Nudel in Loriots Gesicht.

Muss man den Mut bewundern, mit dem unser Pärchen sich den tristen Aussichten für den gemeinsamen Urlaub stellte? Oder muss man die Dummheit bemitleiden, mit der wir heute jede Situation und jede Unternehmung mittels "Apps" im Vorhinein bis in die kleinste Ecke ausleuchten, um nur ja keine Überraschungen zu erleben?

Wir gehen die Straßen virtuell mit Google Streetview entlang, noch bevor wir je einen Fuß auf sie setzen. Zum Hotel unserer Wahl haben wir dutzende Bewertungen nachgelesen, wir kennen die Tapete des Zimmers, das uns bei unserem Eintreffen erwarten wird ebenso wie die Farbe der Bettbezüge. Alle Sehenswürdigkeiten und Museen haben wir bereits in virtuellen Rundgängen erforscht. Ja, und jetzt wissen wir vorher auch genau Bescheid über Niederschlag, Temperatur, Windstärke und Ozonwerte, die uns am Urlaubsort erwarten.

Wann haben wir eigentlich den Sinn dafür verloren, uns einfach mal überraschen zu lassen? Uns zu verlaufen? Ohne Schirm in einen Regenschauer zu geraten und dabei in ein Café oder Geschäft zu geraten, das man sonst nie betreten hätte?

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